Sehr geehrter Ministerpräsident Kretschmer,
Sehr geehrter Präsident Dr. Schäuble,
Sehr geehrter Premierminister Babiš,
Sehr geehrter Präsident der Helmholtz Gemeinschaft, lieber Otmar,
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Ich bin den Organisatoren sehr dankbar für die Gelegenheit, diese Rede heute Abend in diesem Rahmen mit so vielen herausragenden Persönlichkeiten halten zu können. Mein Thema wird „Warum ist Forschung so wichtig für die Zukunft aller Europäer“ und infolgedessen „Welche sind die Mittel und die Entscheidungen, die getroffen werden sollen, um die Wettbewerbsfähigkeit aller europäischen Ländern durch Forschung zu verbessern“.
Aber zuerst möchte ich mit etwas ganz persönlichem anfangen, dass ich im Gedenken meines Vaters sagen muss. Es erklärt warum ich heute versuche, meine Rede auf Deutsch zu halten. Als Kind in einer großen Familie von armen Bauern in der Nähe von Lyon konnte er selbst nicht das letzte Jahr der Grundschule besuchen, zumal seine Hilfe im Bauernhof dringend benötigt wurde. Später verbrachte er fünf Jahre als Kriegsgefangener um Stettin. Von diesen sehr harten Zeiten lernte er drei Lektionen, wie er mir sagte : erstens, als er mit seinem Kommando Anfang 1945 nicht weit weg von Dresden wegen der instabilen Militärsituation wanderte, konnte er sehen, wie auch die deutsche Bevölkerung unter dem Krieg leiden musste ; seine erste Lektion war: „Nationalismus führt nur zum Streit und Konflikt“. Die zweite Lektion entstand, als er von russischen Soldaten, die mit ihm in Kriegsgefangenschaft waren, viel über die französische Literatur lernte. Sie wussten mehr als er selbst ; das heißt Lektion 2 ist: „Man kann immer etwas von anderen lernen“ ; und die dritte Lektion ist, dass seine Kinder deutsch sprechen müssen, zumal eine Sprache zu beherrschen der erste Schritt ist, um ein besseres Verständnis zwischen Völkern zu erreichen.
Zurück zu meinem Thema: um die Punkte, die ich hier gern machen möchte, in diesem besonderem Umfeld, am leichtesten darzustellen, werde ich drei Beispiele benutzen.
Der erste Punkt hat mit dem Global Positioning System (GPS) zu tun, etwas, dass Sie alle, bin ich mir sicher, mehrmals am Tag benutzen. Hatte jemand vor 30 Jahren erwartet, dass man so einfach seinen Weg fast überall in der Welt finden würde? Hatte es jemand verlangt? Natürlich nicht. Wie funktioniert es? Es scheint ganz einfach zu sein, wenn man weiß, Telefone schicken Signale zu einigen Satelliten, die von denen erreichbar sind. Man muss nur die Abstände zu diesen Satelliten in drei Dimensionen messen, und davon ihre Position auf einer Landkarte ableiten. Aber dank der Arbeit von Albert Einstein weiß man seit Anfang des vorigen Jahrhunderts, dass die Metrik in der Umgebung der Erde durch ihr Maß geändert wird. Wenn man also genaue Angaben braucht, und natürlich brauchen Sie exakte Messungen um Ihren Weg nicht zu verlieren, muss man diese Korrekturen einführen. Hatte Albert Einstein eine solche Anwendung erwartet? Natürlich nicht! Er wollte nur eine bessere Basis für eine physikalische Theorie finden. Dank der neuen Theorie konnte man zum Beispiel einige kleine Abweichungen der Bewegung des Planeten Merkur von der Theorie von Isaac Newton erklären. Das ist ein interessantes Beispiel für den unerwarteten Einfluss der Wissenschaft und ihre positive Langzeitwirkung für die Menschheit. Hierbei handelt es sich um die Verbesserung einer Theorie, die seit Jahrhunderten viel Erfolg hatte, und die nun fast ein Jahrhundert später, ganz praktische und weltverbreitete Anwendung findet.
Natürlich hängen diese neuen Möglichkeiten davon ab, dass ein gutes System von Satelliten mit der richtigen Ausstattung gebaut wurde. Ein solches System zur Verfügung zu haben, bringt gesellschaftliche und ökonomische Konsequenzen mit sich, die kein europäisches Land alleine tragen kann. Wie Sie sicher davon gehört haben, war es genau der Grund warum auf europäischem Niveau das Projekt Galileo entstanden ist. Eine Konsequenz davon ist natürlich eine bessere Unabhängigkeit und Sicherheit für Europa.
Mein zweites Beispiel kommt aus der Forschungsarbeit des Nobelpreisträgers Günter Blobel, der hier für seine Unterstützung der Stadt Dresden wohlbekannt ist. Ich zitiere ihn (auf Englisch) : „The tremendous acquisition of basic knowledge will allow a much more rational treatment of cancer, viral infections, degenerative diseases and, most importantly, mental diseases.” Sein kritischer Beitrag, schon in den achtziger Jahren, war in der Tat ein riesiger Fortschritt im Bereich der Zellforschung, um das Funktionieren der Zellen richtig zu verstehen. Ganz am Anfang seiner Karriere studierte er Medizin aber er hatte das Gefühl, dass er bessere Ergebnisse erzielen würde, wenn er in Richtung Biologie gehen würde. Die zentrale Frage war wie Proteine in Zellen transportiert werden. Es ging durch die Identifizierung der „Address code“ für jedes Protein. Es ist der Schlüssel zur Überschreitung von Membranen. Nachdem er, und einige andere, den Prozess richtig verstanden hatten, war es möglich Medikamente nach Massen zu entwickeln. Der erste Erfolg kam mit Insulin. Es ist ein langer Weg, und jeder Fortschritt zeigt, der Weg dahin ist noch komplizierter als erwartet. Es hat natürlich zu tun mit der Größe der Daten, die erstens gesammelt und dann organisiert werden müssen. Noch einmal eine Situation, wo Verständnis die Lösung zu Problemen, die später identifiziert werden, bringt.
Als „follow up“ dieses zweiten Beispiels möchte ich die Arbeit von Ben Feringa, eines anderen Nobelpreisträgers, heutzutage Mitglied des wissenschaftlichen Rates des Europäischen Forschungsrates (ERC), erwähnen. Am Anfang dieses Jahrhunderts brachte er das Verständnis von dem was in Zellen passiert noch ein Stück weiter. Als grundsätzlicher Chemiker interessierte er sich an „Nanomotoren“, das heißt Motoren, die zehn tausend Mal kleiner als ein Haar sind. Die Größe ist ähnlich wie die der Moleküle, die in Zellen aktiv sind. Mit der Unterstützung des ERCs, natürlich bevor er zum Rat kam, ging er weiter und war mit der Kontrolle der Funktionen dieser Motoren erfolgreich. Auf diese Weise konnte er Nanoroboter bilden, die sehr wahrscheinlich mit der Verabreichung von Medikamenten an der richtigen Stelle extrem nützlich werden. Eine neue Dimension für die Medizin! Wie Sie es sicher merken, bedeutet es, dass die Natur Milliarden von chemischen Motoren benutzt! Wir müssen weiter erforschen, wie diese natürlichen Motoren helfen können, Krankheiten zu heilen.
Mein drittes Beispiel hat mit neuen Materialien zu tun. Der Durchbruch kam 2004 mit der Entdeckung, dass Kohlenstoff eine unerwartete 2-dimensionale Phase mit einer perfekten Organisation in Hexagonen hat, das so-genannte „Graphen“. Es machte nur Sinn, wenn man die Physik aus der Quantenperspektive betrachtete. Für die Herstellung und das Studium dieser neuen Materie haben Andre Geim und Konstantin Novoselov eine ganz kritische Rolle gespielt und dafür den Nobelpreis bekommen. Beide kamen aus der Sowjetunion in die Niederlande und sind heute in Manchester. Bei beiden wurde die Forschung vom ERC unterstützt. Was so erstaunlich mit Graphen ist sind seine ausordentlichen mechanischen und elektrischen Eigenschaften: die extreme mechanische Festigkeit und der sehr kleine elektrische Widerstand. Aber die Geschichte, die ich Ihnen gern zum Schluss erzählen möchte, ist die von einer anderen Chemikerin: Prof. Valeria Nicolosi, eine Italienerin, die in Italien und Großbritannien ausgebildet wurde und heute in Irland arbeitet. Sie hat zwei ERC Grants gewonnen. Sie ist wunderbar kreativ und hat mit mehreren Firmen Projekte über Batterien, Reifen und vieles mehr entwickelt. Aber was völlig unerwartet ist, ist die langfristige Zusammenarbeit mit Lego, die sie entwickelt hat. Vielleicht wissen Sie nicht, dass Lego „Spiel wohl“ auf Dänisch bedeutet. Und in der Tat wurde Lego 2014 die größte Firma der Welt für Spielzeuge. Hier ist ein Zitat von Valeria über ihre vielseitige Kollaboration mit Lego (auf Englisch): „It is incredible to see how fundamental science can turn into the most creative, unexpected things thinking out of the box... People at Lego have incredible creativity and they have definitely opened a wonderful new world for my nanomaterials.” Es zeigt insbesondere, dass es für europäische Firmen möglich ist die weltweit besten zu sein, aber es kann nur passieren, wenn sie bereit sind, Risiken einzugehen und neue Perspektiven zu entwickeln. Dafür müssen sie die besten möglichen Partner suchen, und dazu gehören Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.
Ich hoffe, diese Beispiele haben Sie überzeugt, dass Forschung in der Tat durch die Stimulation von ganz neuen Industriebereichen die Gesellschaft tief verändert hat und in der Zukunft ändern kann.
Die kritische Frage ist „Wie kann man diesen Prozess weiter unterstützen“. Ein Teil hat mit der Entscheidung zu tun, genügend Mittel für die Forschung auf nationaler und auf europäischer Ebene zur Verfügung zu stellen. Diese Frage wird auch sicher Teil der Diskussionen zum nächsten europäischen Finanzrahmen 2021-2027 sein. Aber um diese Frage richtig zu antworten, braucht man mehr.
Es kann auch nicht ohne bessere Chancen für die neue Generation gehen, die in Europa nach Perspektiven suchen. Wir alle wissen, alles hängt von Personen ab. Die richtige Motivation muss aufgebaut werden, sodass die besten und ehrgeizigsten jungen Leute ihre Zukunft hier sehen. Dafür müssen sie Programme identifizieren, die solche Möglichkeiten liefern. Der ERC gehört dazu. Der ERC hat seit seiner Gründung mehr als 6000 Nachwuchsforscher und Forscherinnen in der ersten Phase ihrer Karriere unterstützt.
Der Wettbewerb ist sicher global, und wir sehen, dass massive Investitionen in Asien gemacht werden, insbesondere in China. Um eine ausreichend langfristige Perspektive zu nehmen, muss man lernen, wie man sich aus einer kurzfristigen Sicht befreit. Man braucht Geduld, um die Lektionen der Vergangenheit zu verstehen, denn ohne tiefes Verständnis, das oft lange dauert und von völlig unerwarteten Seiten kommt, geht es nicht.
Ganz am Ende möchte ich Ben Feringa zitieren: „One should not predict the future, one should invent it“. Das kann nur passieren, wenn Spitzenforschung die richtige Unterstützung bekommt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.