Festveranstaltung 10 Jahre Europäischer Forschungsrat (ERC); 1000 europäische Exzellenzauszeichnungen für Deutschland

Berlin, den 21. Juni 2017

Rede von Prof. Dr. Jean-Pierre BOURGUIGNON, ERC Präsident

 

Sehr geehrte Frau Bundesministerin WANKA,

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Meine Damen und Herren,

Ich danke Bundeskanzlerin MERKEL und Bundesministerin WANKA für Ihre ermutigenden und freundlichen Worte.

Es ist natürlich eine große Ehre für mich hier in Berlin die Möglichkeit zu haben, an einer der 160 Veranstaltungen teilzunehmen, die im Rahmen des 10. ERC Geburtstags stattfanden oder stattfinden werden. Für alle Wissenschaftler wie mich hat Berlin, heute wieder die Hauptstadt Deutschlands, eine ganz besondere Bedeutung zumal dort so viele außerordentliche Wissenschaftler tätig waren. Man denke an Karl WEIERSTRASS, Max PLANCK, Albert EINSTEIN, ...  und die Liste sollte natürlich viel länger gemacht werden.

Vielleicht ist es hier besonders geeignet zu unterstreichen, welchen bedeutenden Beitrag deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Aufbau des ERCs geleistet haben: Herr Professor Dr. Hans-Joachim FREUND und die Nobel Preisträgerin Prof. Dr. Christiane NÜSSLEIN-VOLHARD waren Mitglieder des ersten wissenschaftlichen Rates des ERC. Herr Professor Dr. Ernst-Ludwig WINNACKER war der erste Generalsekretär, und in dieser kritischen Funktion war sein Beitrag zum richtigen Aufbau des ERCs sehr bedeutend. Später diente Herr Professor Dr. Donald DINGWELL als der letzte ERC Generalsekretär bevor das Amt mit der Funktion des Vorsitzenden des wissenschaftlichen Rates zusammengelegt wurde. Diese Anerkennung von Leuten, die einen besonderen Einfluss auf die erfolgreiche Entwicklung des ERCs gehabt haben, gibt mir die Gelegenheit meiner Vorgängerin als Präsident des wissenschaftlichen Rates, Frau Professor Dr. Helga Nowotny, die heute uns die Ehre macht, an der Veranstaltung teilzunehmen, zu begrüßen. Vielen Dank liebe Helga, dass noch heute so engagiert für den ERC bist! Ich möchte auch Professor Dr. Michael KRAMER persönlich begrüßen, der heute als Mitglied des wissenschaftlichen Rates den ERC vertritt.

Wir sind hier um zu feiern, und in der Tat gibt es viel zu feiern:

  • Erstens, die Wissenschaftlerinnen und die Wissenschaftler, die einen ERC Grant in Deutschland gewonnen haben. Wie Sie wissen, sind sie mehr als eintausend. Ein bahnbrechendes Ereignis, das bedeutet, das sie die Möglichkeit haben, ihre Forschung unter den besten Bedingungen zu entwickeln. Es bedeutet auch, wenn man einen mehr politisch strategischen Standpunkt einnimmt, dass fast 2 Milliarden Euro des Europäischen Budgets zurück nach Deutschland für die Finanzierung von ERC Verträgen geflossen sind.
  • Zweitens, feiern wir die große Unterstützung und Förderung, die von der deutschen Regierung der Forschung gewidmet sind. Sie hat eine langfristig orientierte Tradition, die in den letzten Jahren noch verstärkt wurde. Heute werden in Deutschland 3 % der Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung ausgegeben. Das läuft natürlich parallel zu dem Engagement der deutschen Regierung für das Horizont 2020 Programm und für den ERC im Besonderen. Bei der Eröffnung des ERCs, im Jahre 2007 gab Frau Kanzlerin MERKEL in Ihrer Rede, ein hohes Ziel für den ERC vor, „die Champions League für Forschung zu werden“. Es scheint, das Ziel wurde erreicht. Der ERC erscheint als ein prominentes Beispiel des europäischen Mehrwerts, einen Wert, den wir immer im europäischen Zusammenhang als Leitfaden benutzen müssen. Frau Bundeskanzlerin unterstrich auch zwei Bedingungen für den Erfolg, „Autonomie und Freiheit“ ; wir können heute in der Tat sagen, dass beides essentiell für die erfolgreiche Entwicklung des ERCs war und umgesetzt wurden. Wir brauchen beides weiterhin !
  • Drittens, können wir feiern, dass Europäer die Zukunft mit etwas mehr Optimismus betrachten können. Mein eigenes Land hat dazu in dem letzten Monat etwas beigetragen, als in den Präsidentschaftswahlen der einzige Kandidat, der sich für ein stärkeres Europa explizit engagiert hat, nicht nur eine große Mehrheit gewonnen hat, aber auch eine umfangreiche Erneuerung des politischen Personals ermöglicht hat. Als Wissenschaftler scheint mir Europa ein offensichtlicher Rahmen für die Entwicklung der Zusammenarbeit und der Mobilität zu sein. Wir alle wissen, dass Wissenschaft keine Grenzen kennt. Es ist vielleicht ein guter Moment, um das Motto des ERCs „Offen zu der Welt“ zu unterstreichen.
  • Viertens, die fantastische Diversität der Projekte, die von ERC Grantees vorgeschlagen und erfolgreich entwickelt wurden und werden. Das hat natürlich mit der richtigen vom ERC wissenschaftlichen Rat getroffener Entscheidung zu tun, sich auf „Frontier Research“ „Grenzforschung“ zu konzentrieren. Es bedeutet auch, dass es nicht geeignet ist, a priori Kategorien als „grundsätzlich“ oder „angewandt“ einzuführen. Wenn ich ERC Grantees besuche, kann ich so oft sehen, dass neue Begriffe und Erkenntnisse oder neue Instrumente zu völlig unerwarteten Anwendungen führen, aber auch zu Antworten und Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen, die im Vorfeld nicht viel mit dem Thema der Forschung zu tun haben. Ich bin sicher, dass wir heute später in der Veranstaltung wunderbare Beispiele dieser Art hören werden. Es bedeutet insbesondere, alle Fachbereiche sollten weiter beim ERC betrachtet und gefördert werden, von Natur- und Ingenieur-wissenschaften (inklusiv Mathematik und Informatik) zu Lebenswissenschaften und Sozial- und Geisteswissenschaften.

Ein Thema, das nicht vergessen werden sollte, auch wenn der 10. Geburtstag des ERC gefeiert wird: Forschung ist in der Realität ein Ökosystem. Für den ERC, der heute nur 1 % des gesamten Budgets für Forschung und Innovation in Europa darstellt, bedeutet das, dass er allein nicht alle Probleme lösen kann. Um Europa stärker zu machen, müssen alle Komponenten des Systems geprüft und verbessert werden: Karriereperspektiven für junge Leute, eine willkommene Atmosphäre für mobile Wissenschaftler, hervorragende Infrastrukturen, usw. Natürlich bedeutet es nicht, ERC solle nicht weiterlaufen und mehr Agilität gewinnen, um sich den Wandlungen der wissenschaftlichen Landschaft anzupassen, und deshalb ein größeres Budget in dem nächsten Rahmenforschungsprogramm zu genießen. In der Tat sind genau Kontinuität, Agilität und Wachstum, die drei wichtigen Schlüsselpunkte, die vom wissenschaftlichen Rat des ERCs in dem Mitte Mai veröffentlichten Dokument zum 9. Europäischem Rahmenforschungsprogramm vorgeschlagen wurden.

Die verschiedenen Wege und Entwicklungen, die Forschung nehmen kann, müssen wir immer im Kopf haben, wenn wir Pläne für die Zukunft schaffen. Der Erfolg der ERCs beweist, dass die Bottom-up Methode, wenn sie mit einer hoch qualifizierten Evaluation gekoppelt ist, sehr erfolgreich wirkt.  Wenn die Initiative den Forscherinnen und Forschern überlassen wird, entdeckt man, dass unerwartete Beiträge und Lösungen zu gesellschaftlichen Herausforderungen oft geschehen. Eine der überraschenderen Lektionen aus dem 7. Rahmenforschungsprogramm (FP7) ist, dass 29 % der in allen Komponenten des Programms eingeführten Patente von ERC Grantees beantragt wurden, obwohl das finanzielle Gewicht des ERC Programms in FP7 nur 16 % war. Und natürlich wurde nie Patente zu gewinnen als echtes Ziel für ERC Grantees vorgeschlagen. Es zeigt, dass die Initiative den ERC Grantees zu überlassen eine erfolgreiche Strategie ist, auch um Ziele zu erreichen, die eine nicht so evidente Verbindung mit ERC haben. Hier ist, glaube ich, eine interessante Lektion, die zeigt, wie kritisch das Vertrauen in Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist, wenn sie ihre eigenen Grenzen richtig überschreiten.

Eine klare Priorität des ERC wissenschaftlichen Rates war und ist junge Forscherinnen und Forscher zu unterstützen: 2/3 der ERC Grantees sind in der Tat jünger als 40 Jahre. Die Verträge, die mit Ihrer Institution von der ERC Exekutivagentur, die dem ERC praktisch und effizient dient, unterzeichnet werden, geben den Grantees viel Macht. Es ist sicher ein mächtiger Beitrag des ERCs zum Aufbau der nächsten Generation von Wissenschaftsexperten in Europa.

Hier ist es vielleicht geeignet eine besondere Maßnahme, die vom ERC wissenschaftlichen Rat getroffen wurde, wieder ans Licht zu bringen: Frauen, die Kinder erziehen, sehen die obere Altersgrenze für die Antragsstellung in den ERC Kategorien „Starting“ und „Consolidator“ Grant um 18 Monaten pro Kind verschoben. Das gilt auch natürlich für Männer, die von ihrem Arbeitsplatz für eine Zeit lang Abstand nehmen. Diese Maßnahme wirkt richtig, d.h. Leute, die davon profitieren sollten, eine ähnliche Erfolgsquote als die anderen Kandidaten haben.

Ich kann diese Rede nicht schließen, ohne explizit zu erwähnen, dass der Einfluss des ERCs auf die Entwicklung der Forschung von Industriellen extrem positiv anerkannt wird. Ein Beweis dafür wurde im Januar in Davos gegeben. Dort teilten Wirtschaftsführer wie die CEOs von Merck, Solvay und Carlsberg Ihre Meinung darüber mit den Gästen eines Mittagsessens mit 80 Teilnehmern, das zusammen vom World Economic Forum und ERC organisiert wurde.

Vielleicht noch wichtiger für eine langfristig erfolgreiche Zukunft Europas in dem heute sehr intensiv gewordenen internationalen Wettbewerb um Experten ist die Rolle des ERCs in der Ankurbelung von Reformen im Forschungsbereich. In der Tat haben viele Länder entschieden, ihre nationale Struktur für das Forschungsökosystem zu reformieren, und oft haben sie den ERC als Model genommen.

Ganz zum Schluss möchte ich mich bei allen Leuten, von politischen Leiterinnen und Leitern zu Beamten der Europäischen Kommission und natürlich auch akademischen Kolleginnen und Kollegen, ganz herzlich für das wunderbare Abenteuer, das ERC geworden ist, bedanken. Sehr viele Leute haben sich darum bemüht. Aber was getan wurde ist kaum zu glauben. Es ergibt ein echtes Beispiel der wunderbaren Bedeutung Europas, was Forschung betrifft. Wir müssen auf diesen Erfolg bauen. Diese Perspektive sollte die Basis für die Vorbereitung des nächsten europäischen Rahmenprogramms FP9 sein, in dem der ERC eine noch wichtigere Rolle spielen sollte. Es war genau die Basis, worauf der wissenschaftliche Rat des ERCs seine Vorschläge für FP9 gebaut hat. Wir sind alle gespannt, mehr darüber von der wissenschaftlichen Gemeinschaft, insbesondere von den ERC Grantees selbst, zu hören, und natürlich auch von allen Ansprechpersonen, Politikern so wie Beamten, die die Vorbereitungen des Rahmenprogramms gestalten werden.

Wir müssen ein noch erfolgreicheres Kapitel des ERCs aufschlagen, und dafür brauchen wir die breiteste Unterstützung. Der ERC möchte mit Ihnen gemeinsam höchste Ansprüche und Ziele erfüllen. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg gehen, um die Zukunft der Wissenschaft und Innovation, die so kritisch für Europas Weiterentwicklung ist, zu sichern!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.